2025 Hans Peylo

GESCHICHTEN

PIERRES NOIRES…FAKTEN und LEGENDEN
Eine Geschichte von Martin Meinhardt inspiriert von Realität und Fantasie

Es gibt wohl keine andere Bucht in der Bretagne mit mehr Leuchttürmen als die Bucht von Brest. Denn dort stehen vier dieser maritimen Bauwerke. Natürlich verteilt über den Einzugsbereich der Bucht. Es geht geografisch um das sogenannte Molene-Archipel. Früher gab es dort zwei Leuchttürme. Saint Mathieu und Kermovan. Darüber geleitet, gelangte man als Seefahrer zum Hafen von Brest. Bis die vielen Schiffswracks vor dem Hafen zu einem Problem wurden. Denn an den scharfkantigen Unterwasserfelsen vor dem schützenden Hafen zerschellten bei stürmischer See immer öfter Boote und Schiffe. Dem musste Einhalt geboten werden. Auch um die Hafeneinfahrt dauerhaft frei halten zu können. Es mussten zwei neu Leuchttürme her. Le Four und Pierres Noires.

Um den zu Letzt genannten Leuchtturm ging es. Den hatte sich Marie Durand, investigative Journalistin aus Roubaix, herausgesucht. Eben wegen des prägnanten Namens Phare des Pierres Noires. Der Leuchtturm, der im Deutschen auch gerne als „Leuchtturm der schwarzen Steine“ bezeichnet wird. Das legt der Name ja auch nahe. Denn der Leuchtturm wurde auf einem Riff, das nur bei Ebbe zugänglich ist, errichtet. Der Felsen besteht aus schwarzem Gestein. Mit dem Bau des Turmes wurde 1867 begonnen. Wegen der widrigen Bedingungen konnte er erst 1871 fertiggestellt werden. Die Maßnahmen verschlangen unglaubliche 325.000 Goldfranken. Am 1. Mai 1782 nahm das erste Leuchtfeuer seinen Betrieb auf, das durch eine Mineralöl-Lampe erfolgte. 1903 wurde die Befeuerung durch eine Öldampflampe ersetzt. Und die tat es scheinbar so gut, dass erst 1984 eine Elektrifizierung erfolgte. Seit 1992 ist der Betrieb des Leuchtturms vollkommen automatisiert worden.

Aber was macht diese Bucht für die Schifffahrt so gefährlich? Das wollte Marie natürlich wissen. Denn es muss doch einen nachvollziehbaren Grund geben, warum hier gleich vier Leuchttürme erbaut wurden. In der Regel reichten einer, manchmal auch zwei dieser Leuchtfeuer völlig aus, um die Seeleute zu schützen. So in der Vergangenheit wie auch zur heutigen Zeit. Sie forschte also weiter. Denn das Thema ließ sie irgendwie nicht mehr los. Sie wollte natürlich auch wissen, warum es dort so viele Schiffswracks gab, wie an keiner bretonischen Küste sonst.

Und Marie Durand wurde fündig. Sie stieß zunächst nicht auf Legenden oder Geschichten aus fernen Zeiten, sondern auf eine ganz einfache Erklärung. Es handelte sich rein um ein physikalisches Problem. Atlantik und Nordsee treffen dort in den Gewässern vor Brest ungestüm aufeinander. Das führt nicht nur zu heftigen Strömungen, sondern auch zu ungestümer See mit haushohen, zerstörerischen Monster-Wellen. Die Schiffe oder Boote fuhren in die Mündung vor Brest ein und die Seeleute konnten nur allzu oft die scharfen schwarzen Felsen nicht sehen. Bei Ebbe vielleicht. Aber bei Sturm und Flut? So war es jedenfalls bevor die Leuchttürme Four und Pierres Noires gebaut wurden.

So viel zu Tatsachen, die Marie recherchiert hatte. Aber das war nicht alles, sie entdeckte weitaus mehr. Berichte über Pierres Noires, die wohl halb auf Tatsachen und halb auf Legenden beruhten. Das war für sie eine eigene Reportage wert. Ihr Titel:

Pierres Noires – Fakten oder Legende? Ein Bericht von Marie Durand.

Schon vor dem Bau des Leuchtturms galten die Felsen Pierres Noires unter bretonischen Seeleuten als verfluchtes Gebiet. Fischer aus Le Conquet und Plougonvelin erzählten, dass die Riffe bei schwerer See „atmen“ würden: Wenn die Wellen zwischen den Felsen kollabierten, entstünden dumpfe, hohle Laute, die man als Stimmen der Ertrunkenen deutete. Man glaubte, dass dort die Seelen der Schiffbrüchigen gefangen seien, unfähig, das Land zu erreichen.

Während der Bauzeit im 19. Jahrhundert kursierten unter den Arbeitern zahlreiche Aberglauben. Es hieß, der Felsen dulde keine Hast: Wer fluchte oder sich über das Wetter lustig machte, müsse mit einem Unfall rechnen. Tatsächlich kam es zu mehreren schweren Zwischenfällen, bei denen Männer ins Meer gerissen wurden. In den Berichten der Bauleitung tauchen nüchterne Formulierungen auf. In den Erzählungen der Zeitgenossen jedoch wurde daraus die Vorstellung eines „lebenden Felsens“, der sich gegen die Vermessung durch den Menschen wehrte. Auch unter den späteren Leuchtturmwärtern galt der Turm als unruhiger Ort. Ehemalige Wärter berichteten, dass sie bei Sturm manchmal glaubten, Schritte oder Schläge im Mauerwerk zu hören, obwohl niemand sonst anwesend war. Solche Geräusche lassen sich physikalisch erklären, doch für die Männer, monatelang isoliert, verschmolzen Wind, Brandung und Einsamkeit zu etwas Unheimlichem. Eine oft erzählte Geschichte berichtet von einem Wärter, der bei schwerem Wetter angeblich das Licht länger brennen ließ als vorgeschrieben, „damit die Toten den Weg fänden“.

Diese Geschichte, vor allem das Ende, fand Marie Durand so rührend, dass sie es fast glauben wollte. Doch als gestandene Journalistin wusste sie natürlich genau zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Aber daß geheimnisvolle Geschichten und Legenden von bretonischen Leuchttürmen ihre Leser interessieren würden, das war ja schließlich auch ein Fakt.

KÉRÉON….PALAST der UNTERWELT
Eine Geschichte von Martin Meinhardt inspiriert von Realität und Fantasie
Charles-Marie Le Dall de Kéréon, 19 Jahre alt, Fähnrich eines königlichen Schiffes und angeklagt wegen Verschwörung, starb 1794 unter der Guillotine. Einhundert Jahre später bot Amicie Lebaudy 580.000 Francs für den Bau eines Leuchtturms zwischen Molène und Ouessant an, unter der Bedingung, dass er den Namen Kéréon tragen sollte. Sie war eine direkte Nachfahrin des Geköpften. Marie Durand, Journalistin aus Roubaix, wurde neugierig. Diese tragische Geschichte kannte sie noch nicht. Sie schrieb gerade einen Artikel über Amicie Lebaudy. Eine hochinteressante Frau mit sehr viel Geld. Das stammte alles aus einer Erbschaft. Zu einer Zeit also, als Frauen noch kein eigenes Geld verdienen konnten. Madame Lebaudy unterstützte zahlreiche Projekte. Sie galt als Wohltäterin. Das war jetzt alles nicht mehr so wichtig, denn die Journalistin interessierte sich nun ausschließlich für den Leuchtturm Kéréon. Darüber wollte sie noch mehr recherchieren. Ein Leuchtturm nicht nur mit Geschichte, sondern auch mit einer Legende. Man erzählte sich, hier solle der Geist eines alten Fischers hausen. Und dieser sei bei einer stürmischen Nacht mit seinem Boot an dem Felsen, auf dem der Leuchtturm errichtet wurde, gestrandet Danach fehle jede Spur von dem Fischer. Seitdem soll er hier öfters gesehen worden sein. Als Geist. Immer wenn es stürmt. So lauteten auch die Berichte der ehemaligen Leuchtturmwärter. Marie Durand hatte sich in die Historie des Leuchtturmes immer weiter eingelesen. Und was sie da fand, gefiel ihr als Journalistin. Das sah nach einer guten Exklusivstory aus. Folgendes stellte sich bei ihren Recherchen heraus: Der Großteil der Spende von Amicie Lebaudy wurde für die aufwendige Ausstattung der Inneneinrichtung verwendet. Für die Möbel des Wohnbereiches wurden ausschließlich Tropenhölzer wie Mahagoni und Teak verwendet. Der Boden bestand aus einem Parkett aus ungarischer Eiche. Ebenso die aufwendige Wandvertäfelung. Alles Importhölzer, die damals ein kleines Vermögen gekostet haben müssen. Vielleicht hat dieser Prunk zu dem Namen "Palast der Unterwelt" geführt. Aber warum, fragte sie sich? Der Aufenthaltsraum des Leuchtturmwärters wirkte wie ein Wohnzimmer. Er hatte eine Besonderheit im Mittelpunkt. Ein stilisiertes Sternensymbol, offenbar die Darstellung einer Windrose, schmückte als Intarsien Arbeit den Boden. Acht leicht gezackte schwarze Strahlen, die sich in einem abgegrenzten Kreis vom ansonsten hellen Eichenparket deutlich abzeichnen. Aber Warum? Was sollte das Sternensymbol im Boden bedeuten? Marie Durand forschte weiter und wurde fündig. In der bretonischen Mythologie steht das sternenförmige Symbol für den Zugang zu Gottheiten und vergessenen Seelen. Ging es letzten Endes nur darum, um mit Toten in Verbindung zu treten? Der Phare de Kéréon war der letzte Leuchtturm, der in der Bretagne errichtet wurde und auch der luxuriöseste. Und zu der Zeit waren gerade in der High-Society sogenannte Zirkel ziemlich populär, in denen es darum ging, mit Toten in Verbindung zu treten. War es das, was sich hier rund um das Sternensymbol in der Zeit um die Jahrhundertwende zugetragen hatte? Séancen unter der Führung eines Mediums, das den Zugang zu den vergessenen Seelen herstellten sollte? Wie gesagt: Das alles würde sehr gut zu der Zeit der Erbauung des Leuchtturms, zu den Umständen, wie der Bau finanziert wurde, und zu der wertvollen Ausstattung passen. Und die Legende vom einsamen Geist des verschollenen Fischers. So wäre auch sein Beiname „Palast zur Unterwelt“ plausibel nachvollziehbar. Mal angenommen, dass es sich so zugetragen haben könnte. Die Familie des armen Fischers schied dabei von vorneherein aus. Seine Nachfahren stiegen bestimmt nicht in die feinen Kreise der Reichen auf, um an solchen Séancen teilnehmen zu können. Blieb also nur noch Amacie Lebaudy übrig, die vielleicht ein deutliches Interesse daran hatte, solche Sitzungen abzuhalten. Denn die anderen Teilnehmer dürften keine direkte Beziehung zu dem Leuchtturm gehabt haben. Für sie war es vielmehr Zeitvertreib. Mit einem gewissen Gruselfaktor. Für die Mäzenin des Leuchtturms ging es dabei wahrscheinlich einzig und allein um Charles-Marie Le Dall de Kéréon, ihrem 1794 geköpften Urenkel. Ihr musste der Vorfahre sehr wichtig gewesen sein. Warum trug der Turm sonst wohl dessen Namen? Das war ja auch die Hauptbedingung für ihre große Spende gewesen. Ob daraus jemals irgendetwas geworden ist, mit den vergessenen Seelen in Kontakt zu treten, ist nicht überliefert. Denkbar wäre es. Bleibt aber reine Spekulation. Immerhin: Die Legende vom einsamen Geist des Fischers, dessen Boot bei einem Sturm auf den Felsen zerschellte, bleibt. Seine Seele soll immer noch dort hausen. Vielleicht hat sich die Seele von Charles-Marie Le Dall de Kéréon mittlerweile dazugesellt.