Es gibt wohl keine andere Bucht in der Bretagne mit mehr Leuchttürmen als die Bucht von Brest. Denn dort stehen vier dieser maritimen Bauwerke. Natürlich verteilt über den Einzugsbereich der Bucht.
Es geht geografisch um das sogenannte Molene-Archipel. Früher gab es dort zwei Leuchttürme. Saint Mathieu und Kermovan. Darüber geleitet, gelangte man als Seefahrer zum Hafen von Brest. Bis die vielen Schiffswracks vor dem Hafen zu einem Problem wurden. Denn an den scharfkantigen Unterwasserfelsen vor dem schützenden Hafen zerschellten bei stürmischer See immer öfter Boote und Schiffe. Dem musste Einhalt geboten werden. Auch um die Hafeneinfahrt dauerhaft frei halten zu können. Es mussten zwei neu Leuchttürme her. Le Four und Pierres Noires.
Um den zu Letzt genannten Leuchtturm ging es. Den hatte sich Marie Durand, investigative Journalistin aus Roubaix, herausgesucht. Eben wegen des prägnanten Namens Phare des Pierres Noires. Der Leuchtturm, der im Deutschen auch gerne als „Leuchtturm der schwarzen Steine“ bezeichnet wird. Das legt der Name ja auch nahe.
Denn der Leuchtturm wurde auf einem Riff, das nur bei Ebbe zugänglich ist, errichtet. Der Felsen besteht aus schwarzem Gestein. Mit dem Bau des Turmes wurde 1867 begonnen. Wegen der widrigen Bedingungen konnte er erst 1871 fertiggestellt werden. Die Maßnahmen verschlangen unglaubliche 325.000 Goldfranken. Am 1. Mai 1782 nahm das erste Leuchtfeuer seinen Betrieb auf, das durch eine Mineralöl-Lampe erfolgte. 1903 wurde die Befeuerung durch eine Öldampflampe ersetzt. Und die tat es scheinbar so gut, dass erst 1984 eine Elektrifizierung erfolgte. Seit 1992 ist der Betrieb des Leuchtturms vollkommen automatisiert worden.
Aber was macht diese Bucht für die Schifffahrt so gefährlich? Das wollte Marie natürlich wissen. Denn es muss doch einen nachvollziehbaren Grund geben, warum hier gleich vier Leuchttürme erbaut wurden. In der Regel reichten einer, manchmal auch zwei dieser Leuchtfeuer völlig aus, um die Seeleute zu schützen. So in der Vergangenheit wie auch zur heutigen Zeit. Sie forschte also weiter. Denn das Thema ließ sie irgendwie nicht mehr los. Sie wollte natürlich auch wissen, warum es dort so viele Schiffswracks gab, wie an keiner bretonischen Küste sonst.
Und Marie Durand wurde fündig. Sie stieß zunächst nicht auf Legenden oder Geschichten aus fernen Zeiten, sondern auf eine ganz einfache Erklärung.
Es handelte sich rein um ein physikalisches Problem. Atlantik und Nordsee treffen dort in den Gewässern vor Brest ungestüm aufeinander. Das führt nicht nur zu heftigen Strömungen, sondern auch zu ungestümer See mit haushohen, zerstörerischen Monster-Wellen. Die Schiffe oder Boote fuhren in die Mündung vor Brest ein und die Seeleute konnten nur allzu oft die scharfen schwarzen Felsen nicht sehen. Bei Ebbe vielleicht. Aber bei Sturm und Flut? So war es jedenfalls bevor die Leuchttürme Four und Pierres Noires gebaut wurden.
So viel zu Tatsachen, die Marie recherchiert hatte. Aber das war nicht alles, sie entdeckte weitaus mehr. Berichte über Pierres Noires, die wohl halb auf Tatsachen und halb auf Legenden beruhten. Das war für sie eine eigene Reportage wert. Ihr Titel:
Pierres Noires – Fakten oder Legende? Ein Bericht von Marie Durand.
Schon vor dem Bau des Leuchtturms galten die Felsen Pierres Noires unter bretonischen Seeleuten als verfluchtes Gebiet. Fischer aus Le Conquet und Plougonvelin erzählten, dass die Riffe bei schwerer See „atmen“ würden: Wenn die Wellen zwischen den Felsen kollabierten, entstünden dumpfe, hohle Laute, die man als Stimmen der Ertrunkenen deutete. Man glaubte, dass dort die Seelen der Schiffbrüchigen gefangen seien, unfähig, das Land zu erreichen.
Während der Bauzeit im 19. Jahrhundert kursierten unter den Arbeitern zahlreiche Aberglauben. Es hieß, der Felsen dulde keine Hast: Wer fluchte oder sich über das Wetter lustig machte, müsse mit einem Unfall rechnen. Tatsächlich kam es zu mehreren schweren Zwischenfällen, bei denen Männer ins Meer gerissen wurden. In den Berichten der Bauleitung tauchen nüchterne Formulierungen auf. In den Erzählungen der Zeitgenossen jedoch wurde daraus die Vorstellung eines „lebenden Felsens“, der sich gegen die Vermessung durch den Menschen wehrte.
Auch unter den späteren Leuchtturmwärtern galt der Turm als unruhiger Ort. Ehemalige Wärter berichteten, dass sie bei Sturm manchmal glaubten, Schritte oder Schläge im Mauerwerk zu hören, obwohl niemand sonst anwesend war. Solche Geräusche lassen sich physikalisch erklären, doch für die Männer, monatelang isoliert, verschmolzen Wind, Brandung und Einsamkeit zu etwas Unheimlichem.
Eine oft erzählte Geschichte berichtet von einem Wärter, der bei schwerem Wetter angeblich das Licht länger brennen ließ als vorgeschrieben, „damit die Toten den Weg fänden“.
Diese Geschichte, vor allem das Ende, fand Marie Durand so rührend, dass sie es fast glauben wollte. Doch als gestandene Journalistin wusste sie natürlich genau zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Aber daß geheimnisvolle Geschichten und Legenden von bretonischen Leuchttürmen ihre Leser interessieren würden, das war ja schließlich auch ein Fakt.